Ein bemerkenswertes "Scherbengericht der Woche" hat es nicht in die deutschsprachige Berichterstattung geschafft: Ex-Fed-Chef Paul Volcker hat sich sehr pointiert geäußert zur Behauptung, die vielgelobten "financial innovations" bzw. Derivatstrukturen, die die Bankenwelt während der letzten etwa 15 Jahre in die Welt gesetzt haben, würden "Wachstum fördern" oder gar zu Wohlstand führen:

"I wish someone would give me one shred of neutral evidence that financial innovation has led to economic growth — one shred of evidence." :!:


=> Wir stellen fest: 15 Jahre hat es gedauert, bis die triviale Überzeugung konservativer Goldbugs, dass man selbst durch noch so kreative "Finanzinnovationen", derivative Wetten, Umverteilungen und Paketierungen/"securitisations" volkswirtschaftlich einfach keine Werte schaffen kann, endlich den Weg in den Mainstream (in diesem Fall die TIMES) gefunden hat.

=> Nun sind mit Volcker endlich die Thesen salonfähig, dass Derivate eben NICHT -wie von der Finanzindustrie und dem Mainstream immer wieder mantrahaft wiederholt- in erster Linie "Risiko hedgen" und auch NICHT "Risiko in verdauliche Tranchen aufteilen und so die Volkswirtschaften in der Lage versetzen, größere Investitions-Risiken zu schultern und damit über den Transmissionsriemen 'weniger Eigenkapital-Bedarf' schneller zu wachsen"! Der Super-GAU der Banken- und Finanzwelt seit 2008 hat bewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist und dass der 605 Billionen Dollar schwere Derivatemarkt eines Tages die finanzielle Massenvernichtungswaffe werden wird, als die sie Warren Buffett bezeichnet.

Exkurs: Der ehemalige Manager der European Bank for Reconstruction & Development Joachim Jahnke ist seit vielen Jahren ein exzellenter Dokumenteur des in Statistiken erkennbaren Wahnsinns der heutigen Finanzmärkte. Doch selbst er kommentiert wohl zu verharmlosend, wenn er den brutto 605.000 Mrd. Dollar kranken globalen Derivatemarkt in seinem "neuesten Wochenrundbrief" auf eine einfache NETTObetrachtung reduziert:

"Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat jetzt die Daten für die Derivate per Ende Juni 2009 veröffentlicht. Danach haben sie den Einbruch des zweiten Halbjahres 2008 überwunden und rangieren wieder bei 605 Billionen Dollar oder dem 42-Fachen der Wirtschaftleistung der USA in 2008. Das ist ein gewaltiger Betrag, doch sind viele dieser Wetten mehrfach und müssen saldiert werden, um das reale Risiko zu bestimmen. Das liegt dann 'nur' bei 25 Billionen Dollar."

=> Abgesehen davon, dass (wie Jahnke natürlich auch selbst erkennt) auch "nur" 25 Billionen Dollar mal eben schlapp fast das Zweifache des US-BIPs wären: Diese Betrachtung ist eindeutig zu "volkswirtschaftlich". Denn die 605 Billionen, von denen sich angeblich 580 Billionen "wegsaldieren", stehen ja nicht auf EINEM Buch. Man kann getrost davon ausgehen, dass zumindest die Spekulanten in diesem Billionenmarkt der Derivate im Einzelfall eben KEINE sich jeweils zu 95+% "wegsaldierenden" Positionen haben. Hätten sie solche, würden sie im Spekulationsspiel nichts gewinnen. Ohne echtes Risiko-Exposure kein Spekulations-Profit. Und ohne diesen machten Gebühren das große Spiel zum permanenten Minusgeschäft! Auch wenn es keine verlässlichen Statistiken dazu gibt: Man liegt vermutlich noch viel zu hoch mit einer Annahme, dass höchstens (!) 20% der Derivate echtem HEDGING-Interesse entspringen! Zudem lassen sich die Risiken so auch nur VIELLEICHT und ZUM TEIL "wegsaldieren", denn schließlich werden vielfach nicht andere Derivate, sondern Aktien oder Anleihen gehedged, was das hier diskutierte DERIVATE-Exposure unverändert lässt.

=> Im jeweils (Konkurs-)relevanten Einzelfall also spielt es keine Rolle, dass der Billionen-schwere Derivatemarkt VOLKSWIRTSCHAFTLICH-GLOBAL gesehen fast ein Nullsummenspiel ist. Vor dem Konkursrichter zählt nur, ob das im jeweils betrachteten Bilanzbuch lungernde Derivaterisiko komplett gehedged ist oder nicht. Und DAS dürfte in aller Regel eben NICHT der Fall sein. Ein kleiner Zocker im Finanzvorstand einer Hypo Alpe Adria kann "sein" Institut schon mit wenigen Milliarden Derivateexposure ebenso in den Zustand "Konkurs-reif" zocken wie es anno 1998 die Nobelpreis-Genies der Long Term Capital Management konnten oder anno 2009 z.B. Island, Lettland, die Ukraine oder Griechenland. Die großen deutschen Landesbanken brauchten für den gleichen Status "Konkurs-reif" zwar schon mehrere Hundert Milliarden an MBS-exposure. Und JP Morgan wird eines Tages vermutlich mehrere Billionen Bailout-Dollars der Fed benötigen, um aus den toxischen MBS-Long- und den Silber-Short-Kontrakten herauszukommen. In keinem Fall aber wird es eine große Rolle spielen, dass die 605 Billionen Dollar global gesehen nur eine BRUTTO-Betrachtung sind. Die Prüfung der Konkurs-Reife einer Derivatezocker-Bank ist für Wirtschaftsprüfer ein sehr individueller Vorgang...

Und so steht Volckers neue -und für Goldbugs uralte- Erkenntnis weiterhin unwiderlegt in der Welt und wird auch nicht "weggehen":

“I wish someone would give me one shred of neutral evidence that financial innovation has led to economic growth — one shred of evidence”

=> Wann werden nun all die "modernen" BWL-, VWL- und "Ökonometrie"-Lehrbücher umgeschrieben oder besser gleich durch Werke von Rothbard, Hayek und v. Mises ersetzt? Wann werden all die Equis-zertifizierten, Bologna-konformen Universitäten wieder das eigenen Denken anfangen? Wann werden die "CFA-Titel" als das bezeichnet was sie symbolisieren: erfolgreich durchlaufene Gehirnwäsche à la Markowitz! Wann die CDOs, MBSs und "re-REMICs" verboten? Wann die exzessiven und hanebüchen konzentrierten Shortkontrakte auf Silber an der Comex (2-3 Shorties gegen Tausende von Longies) von der SEC als das bezeichnet was sie sind?: hochmanipulativ ausgerechnet im wichtigsten Markt der Welt - dem der Zinspapiere und seinen Opponenten bei den Edelmetallen!

=> Und wann wird an den Elite Business Schools endlich und vor allem das zugrundeliegende Übel angesprochen, das im ungedeckten, ankerlosen fraktionalen Papiergeld liegt, ohne das die bereits halb explodierte aber weiterhin tickende Derivate-Bombe nie hätte entstehen können?